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Im Innern der Autostadt

Fördertechnik versorgt Kunden zeitnah mit Fahrzeugen

Mit der Autostadt in Wolfsburg hat die Volkswagen AG ein gigantisches Marketingprojekt verwirklicht. Wahrzeichen der Erlebniswelt rund um das Automobil sind zwei gläserne Türme, in denen VW abzuholende Fahrzeuge präsentiert. Bei Ankunft des Kunden wird das jeweilige Auto sofort ausgelagert. Das hinter diesem zeitnahen Handling stehende logistische Konzept umfasst auch den Nachschub aus dem angrenzenden Werk. Es funktioniert aber nur, wenn die von Mannesmann Dematic im ‘Innern’ der Autostadt installierte Fördertechnik mit permanenter Verfügbarkeit arbeitet.

Die am 1. Juni 2000 eröffnete Autostadt ist ein Novum. Erstmals schuf ein Automobilkonzern eine Einrichtung, durch die er Besuchern und Käufern konsequent seine Kompetenz, seine Marken und Produkte sowie die zentrale Stellung des Kunden in seiner Firmenphilosophie vermittelt. In knapp zwei Jahren Bauzeit und mit einer Investition von 850 Millionen DM entstand die Autostadt auf einem 25 Hektar großen Areal direkt neben dem VW-Werk.

Das Management der Autostadt GmbH rechnet mit einer Million Besuchern pro Jahr, darunter viele Abholer von Neuwagen. Von den täglich durchschnittlich etwa 3.500 Interessenten verspricht sich die Region zusätzliche Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, denn Betreuung und Service sollen höchsten Ansprüchen genügen. Zirka 1.100 Mitarbeiter werden ständig für das Wohl der Gäste sorgen.

Das am Stammsitz des Unternehmens errichtete Weltforum der Automobilität ist eine neue Service‑- und Kommunikationsbasis und somit ein Marketinginstrument, durch das Volkswagen Kunden erschließen und halten will. Ein Highlight sind die beiden 50 Meter hohen Türme, in denen zusammen bis zu 800 auf Hochglanz polierte Fahrzeuge auf ihre Abholung warten. Die ‘gläsernen Riesen’, die Kunden und potentiellen Käufern gleich bei deren Eintreffen zeigen, wo ihr Auto steht beziehungsweise stehen könnte, sind Teil eines Ensembles aus verschiedenen Pavillons, das die Gäste auf eine Entdeckungsreise in die Welt des Automobils einlädt.

Verbindendes Element

Eine verglichen mit dem Standardsystem überdimensionierte Elektro-Palettenbahn (EPB) von Mannesmann Dematic verbindet unterirdisch die Türme, den Abgabepunkt für die Autos im Kundencenter und die Aufgabestation im etwa zwei Kilometer entfernten VW-Werk. Das von der in Offenbach ansässigen Automotive-Gruppe des Unternehmens völlig neu konzipierte kurvengängige System beruht im wesentlichen auf Bauteilen aus dem Serienprogramm des Herstellers, sowie auf mechanischen Baugruppen, die man für diese Lösung modifizierte. Hierzu gehören beispielsweise Quadroweichen, auf denen die EPB-Fahrzeuge ihre Richtung um 90° ändern können. Das Aluminiumprofil der Fahr- und Stromschienen wurde, aufgrund der notwendigen hohen Tragfähigkeit, speziell für diese Anwendung entwickelt.

Die einzelnen EPB-Fahrzeuge tragen ein Gewicht von knapp 4,8 Tonnen, inklusive einer aktiven Plattform, die mit einem muldenförmigen Parkhalter ausgestattet ist. Die Autos müssen exakt in den Parkhaltern stehen, weil der Stellplatz in den Türmen begrenzt ist; für größere Autos bleibt dort seitlich bloß ein Zwischenraum von fünf Zentimeter. Um Schwierigkeiten beim Weitertransport vorzubeugen, ist außerdem eine zu den Plattformen parallele Ein- und Auslagerung der Fahrzeuge unabdingbar.

“Im Hinblick auf die Vergabe des Auftrags an einen Fördertechnikproduzenten erstellten wir einen umfangreichen Forderungskatalog“, erläutert Peter Lippold, Projekt-Manager der Volkswagen AG für die Autostadt. „Die funktionale Ausschreibung enthielt folgende Eckdaten: Die Anlage soll 120, an Knotenpunkten 250 Fahrzeuge pro Stunde transportieren können. Und die Kapazität an den Türmen muss genügen, um binnen sechs Stunden je 400 Autos ein- und auslagern.“

Wichtig ist dem Betreiber auch eine hohe Transparenz hinsichtlich der in den Türmen und auf den 70 EPB-Plattformen stehenden Autos sowie ein effizientes mechanisches und informationstechnisches Zusammenspiel der EPB mit dem Turmsystem. Die Antriebe der EPB-Fahrzeuge kommunizieren daher kontinuierlich mit dem Lagerverwaltungssystem (LVS) und tauschen hierbei Daten über die Autos aus, die sie gerade befördern.

Ferner verlangten die Verantwortlichen der Autostadt, daß sich sämtliche Fahrzeugvarianten des Konzerns schonend transportieren lassen. Immerhin reicht die Palette vom Polo bis zum Kastenwagen, mit differierenden Radständen und Gewichten von bis zu 2,5 Tonnen. Deswegen dürfen die Autos nur an den Rädern gehandhabt werden; eine Forderung, die das Angebot an Materialflußsystemen merklich verringerte. Elektrohängebahnen, die diesen Anspruch ebenso erfüllen könnten, schieden in Anbetracht ihres Höhenbedarfs aus. Denn der hohe Grundwasserspiegel in der Autostadt und die Vorgabe, die Fördertechnik unter dem ausgedehnten Wasserbecken, in dem die Türme stehen, zu installieren, schränkte die mögliche Bauhöhe ein.

Überzeugendes Konzept

„Die Entscheidung in bezug auf den Lieferanten wurde durch die zu garantierende permanente Verfügbarkeit, verbunden mit der Redundanz aller Verschleißteile, erheblich beschleunigt“, führt Peter Lippold weiter aus. „Mannesmann Dematic gehörte zu der kleinen Zahl an Unternehmen, die eine Einsatzbereitschaft von 98 Prozent zusicherten. Für den Anbieter sprachen auch sein stimmiges Preis-Leistungs-Verhältnis, sein überzeugendes Konzept und der Bau einer Prototypenanlage, für die sich Verfügbarkeitsnachweise aus anderen Systemen hochrechnen ließen.“

Als die Materialflußtechnik und der Lieferant ausgewählt waren, hielt Volkswagen die Entscheidung bezüglich der Schnittstelle zum Werk noch offen. Deshalb musste Mannesmann Dematic zum Beispiel in der Lage sein, sowohl ein separates System zu integrieren als auch die EPB in das VW-Werk hinein zu verlängern; eine Lösung, die letztlich beschlossen wurde. Dabei sind, bei gleichbleibender Geschwindigkeit, acht Meter Höhe zu überwinden. Diese Aufgabe bewältigt die EPB durch Schrägfahrt mit Hilfe eines Seilbahnantriebes, der damit sein Debüt in der Fördertechnik ‘feierte’.

Die EPB-Fahrzeuge werden während ihrer Bewegung über eine Seilklemme ein- und ausgekuppelt. Ein Langzeittest für die Klemme, der einen zehn Jahre dauernden Einsatz simulierte, und eine im Vergleich zur Berechnung doppelt starke Auslegung der wenigen mechanischen Komponenten ‘bürgen’ für hohe Sicherheit. Die Alternative zur Schrägfahrt, ein Heber, wäre zwar preiswerter, würde jedoch keineswegs die geforderte Leistung erzielen.

Der Startschuss für die Anlage fiel termingerecht am 30.5.2000, einschließlich der Aufgabestation im Werk. Abgesehen von den Ladegeräten der Türme zählte die komplette Fördertechnik zum Lieferumfang von Mannesmann Dematic. Dazu kamen die Gestaltung der logistischen Abläufe und die gesamte Steuerung inklusive der Verwaltung der Turmregale, die vom Bereich Systemtechnik der Mannesmann Dematic maßgeschneidert für diese Applikation entwickelt wurde. Die ebenfalls redundant ausgelegte Steuerung umfasst sieben SPSen. Diese kommunizieren mit fünf PC, die eine schnelle Visualisierung der Anlagenzustände gestatten.

Kundenorientierter Ablauf

Da die Autostadt kundenorientiert ausgerichtet ist, gilt dies natürlich auch für den Materialfluß. Insofern hat eine prompte Auslagerung des bestellten Autos aus dem betreffenden Turm, unmittelbar nach Ankunft des Käufers, höchste Priorität.

Die im Werk gefertigten Autos werden von Mitarbeitern auf eine Rampe gefahren und über Beladekabinen auf den EPB-Plattformen zentriert. Vorher wird die Spurweite der Autos gelesen und auf der Plattform eingestellt. Dann starten die Fahrzeuge mit dem vom LVS vorgegebenen Ziel. Im Normalfall ist das ein Platz in einem der beiden Türme. Nach dem Passieren eines gläsernen Tunnels, der die vom Werk trennende Mittelstraße überquert, erreichen sie die Autostadt.

An den Tunnel grenzt die Rampe mit einer Schräge von 5,9° an. Unterhalb der Rampe sind Drehscheiben in die Fördertechnik integriert, auf denen die Plattformen um 180° wenden. Infolgedessen wird das Auto, das den Tunnel in Fahrtrichtung durchquert, später rückwärts auf die Ladegeräte der Türme gezogen und anschließend mit der Frontseite zum Fenster abgesetzt. Basierend auf Daten, die ein übergeordnetes Rechnersystem an das LVS sendet, plazieren die Ladegeräte kleine und große Fahrzeuge im gleichen Abstand zum Glas. Dem Betrachter bietet sich demnach beim Blick auf die Türme immer ein einheitliches Bild.

Die 50 Meter hohen Türme, von den 48 Meter aus dem Erdreich herausragen, sind in 20 Etagen mit je 20 Fächern zur Aufnahme der Autos eingeteilt. Beide Türme sind mit zwei Ladegeräten versehen, die nicht übergreifend arbeiten und daher jeweils die halbe Grundfläche des Turms bedienen. Das heißt, jedes Ladegerät ver- und entsorgt pro Etage zehn Fächer; in der Ebene, in der die EPB angeschlossen ist, entfällt wegen der Anbindung ein Fach je Gerät.

Soweit möglich, fahren die Ladegeräte Doppelspiele. Sie können sich aber bei Bedarf auf das Ein- oder Auslagern beschränken. Letzteres ist vor allem dann sinnvoll, wenn viele Abholer warten. Um die vier Geräte gleichmäßig auszulasten, lagert die Autostadt nach einem geplanten Grobtermin ein und entsprechend einem Feintermin aus.

Den Abruf der Autos aus den Türmen lösen übergeordnete Systeme aus, die alle für die Auslagerung relevanten Daten an das LVS transferieren. Nach der Entnahme fährt die EPB das Auto innerhalb von fünf bis sechs Minuten zum Kundencenter, wo der Käufer gerade die üblichen Formalitäten erledigt. Die kurze Strecke zum finalen Check wird das Auto manuell gefahren. Im Anschluß daran übernimmt der Kunde seinen bereits mit Nummernschildern ausgerüsteten Wagen.

Damit dies alles reibungslos geschieht, hat die Autostadt mit Mannesmann Dematic einen Wartungsvertrag abgeschlossen, der bei einer Störung ein Wiederherstellen der vereinbarten Verfügbarkeit im Laufe von zwei Stunden garantiert, so daß sich kein Kunde über diese Zeitspanne hinaus gedulden muß. Das gilt bei Bedarf ‘rund um die Uhr’ an sieben Tagen pro Woche. Momentan arbeitet die Autostadt im Zwei-Schicht-Betrieb; bei mehr als 800 Auslagerungen täglich dürfte eine dritte Schicht hinzukommen. Die wichtigsten Ersatzteile bevorratet der Betreiber ohnehin direkt am System. Dort hat Mannesmann Dematic ferner pausenlos ein Service-Team im Einsatz. Darüber hinaus ist eine Hotline eingerichtet. Zum Beheben komplexerer Störungen in der Software wird ergänzend auf Fernwartung gesetzt. Mit Unterstützung von zehn in der Anlage montierten Web-Kameras lassen sich zudem nahezu sämtliche Betriebszustände verfolgen.

Positive Reaktion

Die Reaktion der VW-Kunden hinsichtlich der Autostadt ist überwiegend positiv. Die Besucher heben, neben den in der automobilen Erlebniswelt gesammelten Eindrücken, besonders den guten Service und die Freundlichkeit der Mitarbeiter hervor. „Sollte das Interesse der Käufer an einer Abholung ihrer Fahrzeuge noch steigen, können wir die Kapazität problemlos erhöhen“, betont Peter Lippold. „Schließlich ist die Gesamtkonzeption des Projektes auf sechs Türme und somit auf das Dreifache der jetzigen Leistung ausgelegt. Zwei weitere Turmfundamente sind schon vorbereitet; für die beiden restlichen ist der Platz reserviert.“ Auch Mannesmann Dematic ist bestens auf einen Ausbau eingestellt: Neue Türme ließen sich einfach in die flexible Elektro-Palettenbahn und die Steuerung einbinden.

 

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